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Kalvarienberge, Menhire und keine Hafenkneipen

| Eine regenreiche Reise durch die Bretagne |


Calvaire von Thégonnec, weinend

Nun, einige Tage nach Rückkehr, fällt es immer noch nicht leicht, ein Résumé zu ziehen.
Hat sich die Reise in die Bretagne gelohnt?
Wir hatten uns noch umfassender als üblich vorbereitet, wir standen unter dem Eindruck schwärmerischer Reportagen, wir hatten kleine Fischerhäfen mit 'unverbogenen' Fischkneipen im Sinn und gierten nach fangfrischem Meeresgetier, wir waren gespannt auf die wechselnden Küstenlandschaften und die rollenden Hügel des Binnenlandes, wir hatten Berichte über Käse- und Butterorgien im Kopf. Und wir waren auf die Originale gespannt: die steinzeitlichen Menhire, soweit sie von Obelix noch nicht weggetragen worden waren.
Entscheidend jedoch für den Entschluß, in die Bretagne zu reisen, waren die


Umfriedeten Pfarrbezirke (Enclos paroissiaux)
mit ihren einmaligen
Kalvarienbergen (Calvaires)


nochmal der Calvaire von Thégonnec (diesmal halbwegs trocken)

Lange hatten wir überlegt, wie wir die Reise gestalten sollten: Vierzehn Tage mit unserem PKW unter Einschluß der Normandie oder Fahrt mit Thalys/TGV nach Nantes oder Rennes und ab dort mit Mietwagen? Oder Konzentration auf sieben Tage Bretagne mit Flug nach Rennes oder Brest?
Entschieden haben wir uns für die Sieben-Tage-Variante mit Brest als Zielort. Von dort schienen unsere vorgeplanten Ziele mit Mietwagen am ehesten erreichbar. Als Standort haben wir ein Ferienhaus an der Nordküste ausgewählt.



Drei Ganztagestouren waren fest eingeplant: Die Kalvarienberge der umfriedeten Pfarrbezirke in der Zentralbretagne, die Menhire und Dolmen der Nordwestküste und der unvermeidbare Mont St. Michel. Die Tage dazwischen sollten der Ruhe und Erholung dienen. Zu genau diesem Zweck hatten wir dieses kleine Ferienhaus mit dem großen Park ausgesucht. Von der Nähe zu den Ortschaften der Rosengranit-Küste (Côte de Granit Rose) versprachen wir uns abendliche Tafelfreuden mit fangfrischem Meeresgetier.

Als Reisezeit schien uns die zweite Hälfte Juni geeignet. Die Klimatabelle wies für diesen Monat die wenigsten Regentage und die meisten täglichen Sonnenstunden aus. Die großen Schulferien in Frankreich und den Nachbarländern standen noch bevor.

Eigentlich hätte es eine schöne, interessante und sogar erholsame Reise werden können. Und eigentlich war sie das auch, wenn man davon würde absehen können, daß sieben Tage lang Regen fiel, vom Sprüh- über Schnürl- und Niesel- bis zu Platz- und Starkregen war alles dabei: Regen am Stück. Wenn's mal für eine halbe Stunde nicht regnete, dann war's so kalt, daß man das Regenzeug erst garnicht auszog. Eine ganze Stunde haben wir im kurzärmligen Poloshirt in der Sonne gesessen. Ein bißchen wenig für sieben Tage.

Beginnen wir mit unserem größten Fehlschluß: Die kleinen, einfachen Hafenrestaurants, die mit dem am gegenüberliegenden Quai eingekauften Tagesfang ihre Gäste beglücken, diese Restaurants gibt es nicht mehr. Nicht an der Rosengranitküste und nicht dort, wo uns unsere Besichtigungstouren entlang führten.

Es gibt nicht einmal mehr Fischerorte. Es gibt Touristenorte mit Touristenhotellerie und Touristenrestaurants mit Touristenmenus. Und ganz viele 'McDonalds' und 'Buffalo Grills'. Und die 08/15-Abspeisen, die sich bei uns Pizzeria schimpfen und die in der Bretagne "Crêperie" heißen. Und davon gibt es - Parallele - Unmengen. (Zum gastronomischen Angebot siehe die Anmerkungen am Ende des Berichts.)

'Nachts sind alle Katzen grau', weiß ein altes Sprichwort. Im Regen ganze Länder auch. Selbst die Felsformationen der Côte de Granit Rose, die so heißt, weil bei Sonnenschein und selbst bei normalen Wetterbedingungen ihre Riesensteine in dieser Farbe leuchten, wirkten in unserer Regenwoche wie Elefantenkühe nach ihrem morgendlichen Schlammbad.



Was also blieb uns übrig, als neben dem absoluten Muss, der Fahrt zum Mont St. Michel, uns den beiden Themen zu widmen, derentwegen wir in die Bretagne gereist waren.



Menhire und Kalvarienberge
und was sonst noch am Wege lag ...


Die Kalvarienberge in den umfriedeten Pfarrbezirken


Zuerst der Oberlehrer: "Kalvarienberge erinnern an den Tod Jesu Christi. Sie sollten den gläubigen Analphabeten des Mittelalters plastisch das Leiden und Sterben des Herrn vor Augen führen. Einfache Kalvarienberge bestehen aus der Nachbildung des Kreuzesszene: "Sie nahmen ihn aber und er trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte(1), auf hebräisch Golgatha. Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte."(2)

Neben diesen einfachen Darstellungen sind in ganz Europa mehr oder weniger umfangreiche Darstellungen entstanden, die ihre (voluminösen) Höhepunkte in den Barock-Kompositionen der Sacri Monti Oberitaliens fanden.

Die ältesten und in dieser Form einmaligen Kalvarienberge finden sich in der Bretagne. Neben vielen kleineren Darstellungen, die sich auf das Zentralmotiv der drei Kreuze beschränken, war es das halbe Dutzend "Grands Calvaires" die uns zu unserer Bretagnereise veranlassten.

Alle Kalvarienberge befinden sich in einem von einer Mauer ungebenen Bereich, den man durch einen Triumphbogen betritt. Der Mauerring umschließt - architektonisch harmonisierend - neben dem Kalvarienberg, die Pfarrkirche und das Beinhaus (Ossuaire, Karner). Obwohl die Mauer nicht unüberwindlich hoch zu sein brauchte, genossen diejenigen, die sich innerhalb des Mauerrings befanden, Immunität im Schutz der Kirche und waren für Gerichtsbarkeit und Gesetzeshüter unantastbar. Im Adjektiv "umfriedet" spiegelt sich das mittelhochdeutsche "frîheid", mit dem "Freiheit, Immunität oder gesonderter Rechtsbezirk" beschrieben wurde.(3) Der Brauch, an sakralen Orten Zuflucht zu gewähren, reichte bis in die heidnische Antike zurück.

Den Pfarrbezirk betritt man über eine verikal in die Mauer oder in den Durchgang des Triumphbogens eingelassene und nur durch einen hohen Schritt zu überwindende ca. 50 cm hohe Steinplatte.(4) (5).

Umfriedete Pfarrbezirke (Enclos Paroissiaux) stellen in der sakralen Kunst Europas ein einzigartiges Phänomen dar und kommen in dieser Form ebenfalls nur in der Bretagne vor.

Diese "Grand Calvaires" bestehen aus einem Sockel von ca. 5 x 4 x 4 Metern, der neben der Kreuzigungsgruppe einen reichen Figurenschmuck trägt. Umlaufend und auf der oberen Platte wird der Leidensweg Christi dargestellt. Aus der Bekleidung der dargestellten Personen läßt sich auf die Entstehungszeit der Kalvarienberge schließen. Drei der sieben "Grands Calvaires" haben wir besucht:

die von Saint Thégonnec, Guimiliau und Plougastel-Daoulas.




Der Enclos Paroissial von Guimiliau mit Kirche (li.), Kalvarienberg (Mi.) und Beinhaus (re.)

Darüber hinaus haben wir die Enclos Paroissiaux in Lampaul-Guimiliau, Ploudiry und Le Martyre besichtigt.


Bildteil: Saint Thégonnec







Guimiliau (in strömendem Regen)
Figürliches an der Kirche




Plougastel-Daoulas


Figürliches am Sockel




Die 'Umfriedeten Pfarrbezirke'

Lampaul-Guimiliau



Ploudiry
Figürliches an der Kirche
in der Mitte der erste Golfspieler aus dem 15. Jhd.



Le Martyre




Menhire und Dolmen


Menhire haben, außer daß sie alt sind und deshalb Ehrfurcht erheischen, nichts zu bieten als - bei den unverfälschten - glatte Steinoberflächen und bei den verchristlichten dieselben glatten, nur vor Jahrhunderten mit Kreuz und Leidensmotiven verzierte ebensolche. Mit entsprechendem Respekt vor den uralten Steinriesen haben wir uns auf die Suche begeben!

Vorab wieder ein wenig Oberlehrerhaftes: Menhir ist bretonisch und bedeutet 'Langstein' (men=Stein + hir=lang). Sie entstammen der Jungsteinzeit, wurden vorzugsweise aus den Granitbrocken der bretonischen Felsenmeere geschlagen und vor 7.000 bis 4.000 Jahren aufgerichtet. Ihre Bedeutung ist bis heute nicht erkannt. Die aktuelle Mehrheitsmeinung deutet sie einfach nur als Landmarken, also weithin sichtbare topographische Objekte.

Das schiere Wissen um das Vorhandensein der Monolithen reicht manchen Reise-Autoren aus, schlicht auf die Existenz der Menhire und Dolmen hinzuweisen. Man sehe sich nur den pauvren Artikel in Wikipedia an. Dort gibt es zwar Beschreibungen der wichtigsten (weil größten) Hinkelsteine, bei den Namen der Gemarkungen jedoch, in denen diese Zeugen der Steinzeit zu finden sind, hapert es schon. Und zwar gewaltig.


Ein paar Details gefällig?(6) Unsere Michelin-Straßenkarte zeigt einen Menhir "Keroustat", der in Wirklichkeit "Kerreneur" oder "Kerhouezel" oder "Kerdelvas" und im Internet "Kercadiou" heißt (7), unser 290seitiger Reiseführer (8) verzichtet einfach auf die Erwähnung der Menhire von Keroustat und Kergadiou. Wikipedia nennt den Menhir von "Kerloas" auch Menhir von "Kerveatous"(9).

Nun sollte man meinen, daß die Strecken zu den wenigen verbliebenen Zeugnissen der seit mehreren tausend Jahren vergangenen Megalithkultur ausgeschildert und die Zugänge besuchertauglich hergerichtet sein sollten. Weit gefehlt! Hinweisschilder sind Mangelware und die wenigen sind überklebt oder für private Zwecke der Anlieger mißbraucht. PKW-Abstellmöglichkeiten gibt's nicht einmal überall.


Beim Suchen (und Finden) hilft im Endeffekt nur die Ortskenntnis der Bauern und ein gewisses Gespür für den bretonischen Dialekt, um die wortreichen Wegbeschreibungen zu verstehen. ("Hast Du jetzt verstanden, was er gesagt hat?")

Und dann steht man vor diesen Riesensteinen und denkt "Aha!" und macht ein Foto oder auch zwei und versucht vergebens, sich das Leben und Treiben rund um die frisch aufgestellten Megalithen vorzustellen und bricht verzweifelt diese untauglichen Versuche ab. Und fährt zum nächsten.

Men-Marz 8,5 m Kergadiou 9,0 m (stehend ) und 10,50 m (liegend) Kerloas 10,0 m


Nicht unterschlagen werden soll der schönste der Menhire, der "verchristlichte" von St. Uzec, der sich wenige Kilometer südlich von Trébeurden-Plage im Département Côtes-d'Armor befindet. Mit seinen acht Metern Höhe ist er der größte der christianisierten Menhire Frankreichs. Die Leidenswerkzeuge wurden in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts eingemeißelt.



Vor lauter Menhiren sollen die beiden Dolmen nicht vergessen werden, die wir so nebenher gefunden haben. Doch im Gegensatz zu den Menhiren kann die Bretagne keine Exklusivität für die Existenz der Dolmen (kornisch für Steintisch) beanspruchen. Dolmen gibt's fast überall auf der Welt.


Kergontuil bei Penvern, Côte-d'Armor
St. Gonvel bei Argenton, Finistère


Was sonst noch am Wege lag


Buchten, Felsen und Strände









Kirchen und Kapellen



Kapelle des Hl. Pol Aurélien [Pol Léon] (Pointe du Pontusval)



St. Anna in Trégastel-Bourg (mit dem Hl. Klo)



St Jacques in Perros-Guirec




und der Mont St. Michel




Fazit


Nun, nach einigen Tagen Bedenkzeit und Gewissenserforschung, sind wir zu einer abschließenden Beantwortung der eingangs gestellten Frage bereit: "Hat sich die Reise in die Bretagne gelohnt?"

Hat sie! Wenn auch nur wegen der Kalvarienberge. Diese Unikate der Darstellung des Leidensweges und Todes Christi sind von einer solchen Exotik einerseits und Eindringlichkeit andererseits, daß sie die Reise alleweil lohnenswert gemacht haben.

Vor vier Jahren haben wir das andere Darstellungs-Extrem in Norditalien kennengelernt, die Sacri Monti. und auch darüber einen Bericht verfaßt. Unterschiedlicher können Szenen des Leidens und Sterbens Christi nicht dargestellt werden: Hier der Pomp und die Sinneslust des Barock und in der Bretagne die Strenge und Nüchternheit der Spätgotik.

Woraus sich - letztendlich - (k)eine Empfehlung ergibt. Dafür klaffen die touristischen Möglichkeiten, die die Bretagne zu bieten hat, zu weit auseinander. Wir, hätten wir's nochmals mit dem Wissen von heute zu entscheiden, würden für vier Tage nach Brest fliegen und uns mit einem Mietwagen die (hier dargestellten) nördlich gelegenen "großen" Kalvarienberge Saint Thégonnec, Guimiliau und Plougastel-Daoulas sowie zusätzlich die weiter entfernten östlich und an der Südküste gelegenen 'Grands Calvaires' Guéhenno, Saint-Jean-Trolimon, Pleyben und Plougonven besuchen. Auf die weiteren "umfriedeten Pfarrbezirke" und erst recht auf die Menhire würden wir verzichten.

Geschmacksache. Eben.



Gastronomisches


Eigentlich habe ich schon genug rumgemährt wegen des nicht (mehr) vorhandenen Angebots an Hafenrestaurants. Da wir aber aus bloßer Verärgerung nicht auf unsere poissons und crustacés verzichten wollten, haben wir die guten alten, einschlägigen Restaurantführer von Michelin und Gault Millau zu Rate gezogen und aßen nun unsere Meeresfrüchte an weiß gedeckten Tischen mit Silberbesteck: in Perroc-Guirec (Le Manoir du Sphinx und La Cremaillère)

Immerhin zweimal erfüllte sich unsere Traum-Vorstellung fast: In Paimpol, wo sich im Hafen eine Touristenschwemme neben der anderen um die rare Kundschaft streitet (immerhin: im Le Neptune waren Austern, Langusten und Lotte exzellent) und in Brest, wo im Industriehafen das Maison de l'Ocean routiniert Einheimische gleichermaßen wie Busreisende mit riesigen 'Meeresfrüchteplatten' zu beeindrucken versucht. (Was wohl dem Anschein nach auch gelingt.)




Anmerkung und Fußnoten


Zu den Bildern: Wegen der schlechten Bildqualität bitte ich um Nachsicht. Der Regen, die hohe Luftfeuchtigkeit und die dadurch bedingten Lichtverhältnisse ließen ordentliche Bilder nicht zu. Um Gegenlichtprobleme auszugleichen, mußten viele Bilder nachbearbeitet werden. Dadurch wirken diese überbelichtet.
Da die Bilder unseres Besuches in Thégonnec fast alle unbrauchbar waren (Regentropfen auf der Linse, s. Einleitungsfoto), sind wir einige Tage später nochmals dorthin gefahren und haben besseres Wetter und bessere Lichtverhältnisse angetroffen. Zufrieden mit der zweiten Ausbeute sind wir allerdings auch nicht.

(1) Schädel = Lateinisch "Calvaria", daher Kalvarienberg
(2) Johannesevangelium (Joh 19,16-18);
(3) Es hat heute noch seine Nachwirkungen beim Kirchenasyl.
(4) Dem Volksglauben nach konnten Dämonen keine Hindernisse überwinden, deshalb glaubte man wegen dieser Schwelle die Toten innerhalb des Pfarrbezirks von ihnen geschützt
(5) s. linkes Foto bei der Beschreibung des Menhirs von St. Uzec
(6) Man lasse sich nicht durch all die "Ker" verwirren. Ker bedeutet Haus.
(7) Wahrscheinlich weil er so viele Namen hat, haben wir ich nicht gefunden.
(8) Görgens "Bretagne", Dumont Reise-Taschenbuch, Ostfildern 2014
(9) Der Kerolas-Menhir steht in der Gemeinde Plouarzel und ist als "Historisches Monument Menhir von Kervéatous" klassifiziert. Wie einfach wäre es in Zeiten der Verbreitung von GPS, die Koordinaten zu veröffentlichen? So wie es vorbildhaft die Website des Naturparks Iroise für Kerloas vormacht: "48°25'38 N 4°40'53 W" ?

Hennef, im Juli 2016
© Friedrich Ortwein

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